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Foto: Reuters/Bader

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Fünf Kandidaten und eine Kandidatin stellen sich am Sonntag zur Wahl, so viel wie seit 1951 nicht mehr. Die Ausgangslage ist unklar, Parteikandidaten haben nicht notwendigerweise mehr Chancen. In den letzten Wochen wurden Plakate affichiert, Diskussionsrunden überstanden, Interviews im Akkord gegeben, Hände geschüttelt, Videos gedreht und um die Stimmen der Wahlberechtigten geworben. Was der Einsatz brachte, zeigt das Wahlergebnis am Sonntag. Ein Rückblick auf den Wahlkampf der sechs Kandidaten, gereiht in alphabetischer Reihenfolge des Namens.

Irmgard Griss in der TV-Diskussion gegen Alexander Van der Bellen.
Foto: ORF/Milenko Badzic

Irmgard Griss – Die Richterin auf dem politischen Parkett

Die Ex-OGH-Präsidentin überraschte als Polit-Profi, ließ aber Fauxpas nicht aus

Lange hat sich Irmgard Griss geziert, ihre Kandidatur dann aber doch als Erste bekanntgegeben. Schon bald nach der Veröffentlichung ihres Berichts zur Causa Hypo 2014 wurde sie gefragt, ob sie nicht bei der Präsidentschaftswahl kandidieren wolle. Griss winkte immer weniger überzeugend ab.

Richterin will Präsidetin werden: Irmgard Griss.
Foto: APA

Die Monate vor der Kandidatur nutzte die ehemalige Höchstrichterin, um ein junges Team um sich zu scharen. Die Truppe organisierte in Start-up-Manier eine professionelle Kampagne mit stringenter Message und grafischem Wiedererkennungswert – mehr, als man von manchen etablierten Parteien behaupten kann. Und das mit einem vergleichsweise kleinen Budget, das von privaten Spendern aufgestellt worden war.

Griss setzte auf ihre Unabhängigkeit als Alleinstellungsmerkmal, verkörperte den Ausbruch aus dem politischen Establishment. Und sorgte mit geschliffenen Reden und pointierter Rhetorik für Staunen in Beobachterkreisen. Sogar ihr deutlich sichtbarer innerer Widerstand gegen das ORF-Politik-Spaßformat Wahlfahrt ließ sie authentisch wirken. Stand da ein politisches Naturtalent, das nach einer jahrzehntelangen Justizkarriere das politische Parkett betrat, ohne auszurutschen?

Zumindest kurz stolperte Griss über das kommunikative Minenfeld der nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs. In einem Falter -Interview sagte die Kandidatin, die Nazis hätten "nicht von Anfang an nur ein böses Gesicht gezeigt" und verwendete später den Euphemismus "Reichskristallnacht" für die Novemberpogrome 1938.

Wahlkampfreportage mit Irmgard Griss.
luger

Volksnähe strahlte die 69-jährige Steirerin auch nicht gerade aus, als sie ihre Rente von 9000 Euro brutto im Monat als in einem Interview "normale Beamtenpension" bezeichnete.

Insgesamt geht die einzige Frau im Rennen mit einem scharfen Profil in die Wahl: Griss, die Sauberfrau, die nach langer Richterinnenkarriere zuerst den Fall Hypo aufklärte und nun im Staat für Ordnung sorgen soll – und damit schon im Wahlkampf beginnt. So schlug sie als Erste das Fairnessabkommen vor und machte ihre Wahlkampfkasse transparent: Alle Spender für Griss' Kampagne hat die Kandidatin auf ihrer Website veröffentlicht.

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Der konziliante Blaue: Norbert Hofer.
Foto: Reuters Foeger

Norbert Hofer – Mit Unschuldsblick ins Klassenzimmer

Der FPÖ-Kandidat brachte sich als Softie in Stellung, mit wohldosierten Brüchen

Es war an Ursula Stenzel, den Vorhang zu lüften. Gerade die Leider-doch-nicht-Kandidatin der FPÖ musste bei der Präsentation des blauen Präsidentschaftskandidaten Ende Jänner das überdimensionale Foto Norbert Hofers enthüllen.

Die Gehbehinderung Hofers wurde im Wahlkampf bewusst thematisiert.
Foto: APA/Scheriau

Parteichef Heinz-Christian Strache scheute bereits damals nicht, die Gehbehinderung, die der Dritte Nationalratspräsident nach einem Paragleiterunfall davongetragen hatte, auszuschlachten. Sein Handicap wurde den Blauen zur roten Schnur, wie FP-General Herbert Kickl im STANDARD-Gespräch unumwunden zugab: Das ist "die Geschichte, die wir in diesem Wahlkampf erzählen wollen". Norbert Hofer als "einer, der sich nicht fesseln lässt".

Doch der Kandidat hatte von Beginn an weitere Schwächen. Zuallererst sein eigener Unwille – lange fühlte er sich mit seinen 45 Jahren zu jung für das honorige Amt. Hinzu kam: Viele FPÖ-Sympathisanten halten den Job für überflüssig, Norbert Hofer kennt man zunächst nicht.

Das blaue Wahlkampfteam setzte also auf Massenveranstaltungen, Fernsehformate, Präsenz in auflagenstarken Medien. Es ging darum, den Namen Hofer bekannt zu machen – und sei es nur auf dem Ankündigungsplakat für eine Großdemo in Wien-Liesing, bei der die FPÖ gegen eine Flüchtlingsunterkunft Stimmung machte. Dass der Kandidat dort nie erschien, passt ins blaue Konzept.

Das freundliche Gesicht der FPÖ, als das der ideologisch sattelfeste Parteiprogrammschreiber gerne bezeichnet wird, sollte ja keine Schrammen bekommen.

Im Jänner gab Norbert Hofer seine Kandidatur bekannt.
derstandard.at/fischer

Der Spagat zwischen Botschaften an die rechte Kernwählerschaft und Anti-Abschreck-Auftritten für geneigte Bürgerliche gelang Hofer ganz gut. Das dauerpräsente Flüchtlingsthema, das der FPÖ während des Wahlkampfs hilfreich war, ließ ihn zwischendurch zielgruppenorientiert von Flüchtlingen als "Invasoren" reden und warnen: "Es kommen auch Menschen, die bereit sind, dir den Kopf abzuschneiden."

Gut möglich, dass man von Norbert Hofer bislang nur eine Seite gesehen hat – wie bei der Präsentation des zweiten Wahlplakates, als der Vorhang nicht ganz aufging. Sollte er je als Präsident an der Wand im Klassenzimmer hängen, setzt er sicher den Unschuldsblick auf.

Rudolf Hundstorfer am Parteitag der SPÖ Wien.
APA/HERBERT P. OCZERET

Rudolf Hundstorfer – Eine Ladung Frust am Buckel

Rudolf Hundstorfer schleppt seine Vergangenheit in der Regierung mit

Rudolf Hundstorfer beim Wahlkampfauftakt der SPÖ.
Foto: Newald

Die Genossen können nicht behaupten, es hätte sie niemand gewarnt. Als Rudolf Hundstorfers Kandidatur besiegelt wurde, gab es zwar Standing Ovations im Parteipräsidium, aber auch skeptische Stimmen hinter vorgehaltener Hand. Leutselig sei er ja, der Rudi, aber nicht rasend telegen und vom Habitus her kein "Natural Born President" wie Heinz Fischer. Vor allem jedoch war eines zu befürchten: dass Hundstorfer als einziges Ex-Regierungsmitglied unter den Bewerbern den ganzen Frust über das politische Establishment erbt.

Glaubt man Umfragen, dann könnte es genau so kommen. Laut Zwischenstand scheint die Stichwahl fern – und so könnte Hundstorfer das mächtige Sozialministerium letztlich für ein flüchtiges Abenteuer aufgegeben haben.

Reingeritten hat ihn niemand, der 64-Jährige stellte sich quasi selbst auf. Einem wie ihm, dem mächtigen Gewerkschafter, wird in der Faymann' schen SPÖ nichts abgeschlagen, die Kandidatur war seit Langem absehbar. Umso mehr überrascht es, dass die Sozialdemokraten ihren Startvorteil nicht nützten. Solange Hundstorfer ein ganzes Ministerium im Rücken hatte, hätte er alle Möglichkeiten gehabt, sich und das auf ihn zugeschnittene Sozialthema ins Rampenlicht zu rücken – Fehlanzeige.

Die Offensive lief auch in der heißen Phase des Wahlkampfes zäh an. Beim Flüchtlingsthema sitzt Hundstorfer, der wohl oder übel die Regierungslinie verteidigen muss, zwischen den Stühlen: Er wird es FPÖ-Anhängern damit nicht recht machen können, wohl aber linksliberale Wechselwähler in Van der Bellens Arme treiben.

Wahlkampfreportage mit Rudolf Hundstorfer.
brugner

Überzeugend war Hundstorfer dann, wenn er der bodenständige Mann aus dem Volk mit dem richtigen Gespür für die Leut' sein durfte; die Rolle des Staatsmannes hingegen wirkte manchmal etwas aufgesetzt, bis hin zu den per Bildbearbeitung arg geglätteten Plakatfotos. In die TV-Duelle des ORF ging er gut vorbereitet, ließ mit der Zeit aber eine gewisse Angefressenheit durchblitzen – um sich mit Andreas Khol schließlich ein Hickhack zu liefern, wie es so viele an Rot-Schwarz hassen.

Rückhalt kommt von der Kronen Zeitung, doch diese Symbiose ist keine Erfolgsgarantie: Bei der Kampagne gegen die Wehrpflicht waren Hundstorfer und das Kleinformat einträchtig gescheitert.

Immer dabei: Die rot-weiß-rote Krawatte.
Foto: APA/Techt

Andreas Khol – Allen Hindernissen zum Trotz

Ein Kampf gegen Windmühlen: ÖVP-Kandidat Khol blieb zumindest cool

Andreas Khol im Wahlkampf.
Foto: APA/Hochmuth

Er ist – abgesehen von Richard Lugner – mit dem größten Handicap aller Kandidaten in die Wahlauseinandersetzung gegangen: Andreas Khol war zweite Wahl, und das ganz offensichtlich. Der ÖVP-Seniorenvertreter kam erst nach der Absage von Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll zum Zug. Pröll pfuschte Khol dann gleich ein zweites Mal in den Wahlkampf, als er Innenministerin Johanna Mikl-Leitner zurück nach St. Pölten beorderte und diese durch Landesrat Wolfgang Sobotka ersetzte. Dieses Prozedere vorbei an Parteichef Reinhold Mitterlehner fügte nicht nur diesem und der Partei Schaden zu, sondern brachte kurzfristig auch Khol ins Schlingern.

Aber Khol ließ sich dadurch nicht aus dem Konzept bringen. Er genießt seinen Wahlkampf, genießt es, im Mittelpunkt zu stehen. So gut er kann, nimmt der ehemalige Nationalratspräsident und Klubobmann die Termine wahr, durchaus mit Verve. Was man von seiner Partei nicht behaupten konnte. Die Unterstützung für den Kandidaten war bestenfalls verhalten wohlwollend, aber niemals euphorisch oder vom Willen getragen zu gewinnen. Allzu rasch hatten offenbar die ersten Ergebnisse der Meinungsumfragen auf die allgemeine Stimmungslage bei den Schwarzen gedrückt. Viele gaben den Wahlkampf schon für verloren, ehe er überhaupt richtig gestartet war.

Ein Übriges tat die Konkurrenz im bürgerlichen Lager: Rechts außen positionierte sich FPÖ-Kandidat Norbert Hofer, das konservativ-bürgerliche Lager fand in Irmgard Griss eine glaubwürdige Identifikationsfigur, schließlich wildert auch Alexander Van der Bellen im Lager des Bürgertums.

Wahlkampfreportage mit Andreas Khol.
derstandard.at/Fischer

Dabei hätte Khol gute Voraussetzungen: Er verfügt zweifellos über ausreichend Erfahrung in der Politik, er ist ein ausgesprochener Familienmensch, er formuliert knackig und am Punkt und liebt den verbalen Disput. Aber ist er sympathisch? Etliche Proponenten des schwarzen Lagers gaben darauf die Antwort, indem sie ihn entweder nicht unterstützten oder offen ins Lager von Griss wechselten, wie Erhard Busek.

Aber Khol ist keiner, der aufgibt oder anderen die Schuld am Scheitern zuschiebt: "Keep Khol", heftete er sich ans Revers.

Lugner protestiert: Bei einer ORF-Sendung durfte er nicht teilnehmen.
APA/hochmuth

Richard Lugner – Der Außenseiter als It-Kandidat

Der Wiener Promi-Unternehmer hat vor allem eine Agenda: sich selbst

Die sogenannten It-Girls sind ein interessantes Phänomen. Es sind Frauen wie Paris Hilton, die dafür berühmt sind, dass sich ständig Kameras auf sie richten, weil sie berühmt sind, da sich ständig Kameras auf sie richten – und so weiter. Richard Lugner ist sozusagen der It-Kandidat der Hofburg-Wahl. Niemand weiß genau, wofür er steht, aber das ist nicht so wichtig, da das politische Agendasetting ohnehin nie im Vordergrund stand.

Lugner in seinem Büro. Der Gartenzwerg wacht.

Beobachter seiner Kampagne konnten den Eindruck gewinnen, die Mission des Baumeisters bestehe hauptsächlich darin, sich selbst und sein Unternehmen in der Periode zwischen Opernball und Opernball medial ein bisschen zu pushen.

Das Insert "Lugner for President" auf manchen seiner Wahleinschaltungen ist in strenger Lugner-City-Grafik gehalten, auf den Wahlplakaten ist als Kontaktadresse die Website seines Unternehmens angegeben: der Wähler als Kunde und vice versa.

Auch in seinen Interviews verfolgt er keine gerade politische Linie, sondern übt sich im radikalen Zickzackkurs. Laufend widerspricht er sich selbst: Einmal distanziert er sich von der FPÖ, dann stellte er sie als einzig regierungsfähige Partei dar. Erst gefällt er sich in der Rolle des Jux-Kandidaten, dann empört er sich darüber, nicht ernstgenommen zu werden.

In dieser Widersprüchlichkeit versprüht Lugner den Charme des nie um einen Schmäh verlegenen Wiener Opportunisten. Einmal zeigt er sich als Gegner von Asyl-Obergrenzen und Schengenkontrollen, dann wünscht er sich Panzer und Kanonen für die Abwehr von Flüchtlingen an Österreichs Staatsgrenze – je nachdem, wer ihn gerade fragt und wann.

Lugner im Wahlkampfeinsatz am Rochusmarkt.
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Damit scheint er vor allem bei jüngeren Wählern zu punkten. Nicht zuletzt auf sie ist die Strategie gemünzt, die Österreicher als Opfer einer rot-schwarzen "Diktatur" darzustellen, aus deren Fängen er sie befreie. In diese Marketingstrategie fügte sich die Tatsache, dass der öffentlich-rechtliche ORF Lugner nicht an allen Kandidatendiskussionen teilnehmen ließ, allzu gut ein.

Wie viele Stimmen er auch immer gewinnen wird: Schaden wird er damit vor allem FPÖ-Kandidat Norbert Hofer.

Der ehemalige Grünen-Obmann Alexander Van der Bellen kandidiert als "Unabhängiger".
vanderbellen

Alexander Van der Bellen – Authentizität als Wahlkampfstrategie

Van der Bellen setzt auf Van der Bellen und eine Verbreiterung der Wählerschaft

Van der Bellen ist Umfragekaiser.
Foto: APA

Sie laufen für ihn, sie werben für ihn, und sie tragen mehr oder weniger sämtliche Kosten. Dennoch will der Kandidat von der Partei dieser Tage wenig wissen. Konsequent gibt Alexander Van der Bellen den unabhängigen Kandidaten – obwohl ohne die Grünen nichts ginge und er selbst jahrelang deren Parteichef war. Auch wenn sich einige Parteifreunde über diese zur Schau gestellte Autonomie ärgern: Dem Auftritt von Van der Bellen hat diese Strategie gutgetan.

Die Rechnung seines Wahlkampfmanagers Lothar Lockl, selbst langjähriger hoher Parteimitarbeiter, ist simpel: Für einen Nationalratswahlerfolg der Grünen braucht es ein paar Hunderttausend Stimmen, um Bundespräsident werden zu können, hingegen ein Vielfaches mehr. Daher zielt die Strategie seines Teams darauf ab, eine möglichst breite, sehr unterschiedliche Wählerschaft anzusprechen. Das Asset der Kampagne ist der Kandidat selbst. Van der Bellen zieht – bei Linken wie auch tief hinein ins bürgerliche Milieu.

Die Fernsehduelle hat der Kandidat routiniert gemeistert, gröbere Patzer wurden vermieden. Nur mit der Ansage, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache auch dann nicht mit einer Regierungsbildung zu beauftragen, wenn die FPÖ stärkste Partei würde, hat Van der Bellen durchaus irritiert.

Verantwortlich für die Werbelinie ist Martin Radjaby-Rasset, einst Grünen-Kommunikationschef. Als Geschäftsführer der Werbeagentur Jung von Matt / Donau hat er diese ganz auf den "Sascha" zugeschnitten. Viele der affichierten Aussagen stammen direkt vom Kandidaten, auch dass der Begriff "Heimat" vorkommt, ist auf Van der Bellen zurückzuführen. Warum der Rechten den Heimatbegriff überlassen, heißt es. Es ist ein Versuch, stärker ins bürgerliche Lager auszustrahlen. So professionell die Plakate gestaltet sind, so einprägsam sind auch die Videospots – Welten trennen diese von manchen Konkurrenzprodukten.

Der Kandidat im Bio-Markt: Heimspiel für den Ex-Grünen-Chef.
derstandard.at/luger

Ob es am Ende reichen wird? Wie früher als Parteichef ist Van der Bellen Umfragekaiser. Viele Werbemittel für die erhoffte Stichwahl sind jedenfalls schon fertig produziert. Zieht Van der Bellen als Sieger in die Hofburg ein, hat sich die Parteiabstinenz gelohnt. Dann wäre er aber doch der erste grüne Bundespräsident. (AuorInnen: Sebastian Fellner, Karin Riss, Gerald John, Michael Völker, Maria Sterkl, Peter Mayr, DER STANDARD, 21.4.2016)